Dieser Artikel soll meine Meinung, Begeisterung und Erfahrungen des Fliegens erzählen, ist aber natürlich eine subjektive Sichtweise meiner eigenen Erlebnisse. Wie die meisten Menschen hatte ich noch vor zwei Jahren nicht wirklich eine Idee wie Fliegen funktioniert oder wie so ein Flugbetrieb überhaupt organisiert werden kann. Nachdem mich ein Freund zu seinem Segelflugplatz eingeladen hatte und ich somit eine Idee bekam wie das in der Realität abläuft, wollte ich schließlich selber fliegen lernen. Seitdem bin ich dabei dies zu tun und kann hoffentlich bald meine Fluglizenz erlangen. Doch wie ist das nun eigentlich so, am Flugplatz fliegen zu lernen und ein Segelflugzeug zu bedienen?
Teil 1: Auf den Schwingen der Natur
Segelflugzeuge nutzen die Kraft der Natur für ihren Flug. Nach einem kleinen „Schubs“ aus unserer Elektrowinde auf ca. 350m über Grund, lassen sich Höhen von über 3000m und Strecken von über 1000km erreichen. Nur mit den Kräften der Natur.
Es gibt Einwohner bei uns in Heppenheim, die uns berichtet haben, dass sie seit mehreren Jahren dort wohnen und nicht bemerkt haben, dass sich gleich vor der Stadtgrenze unser Flugplatz befindet. Und dass obwohl wir beinahe jedes Wochenende mit unseren Flugzeugen über der Stadt kreisen. Das zeigt unter anderem wie leise Segelflugzeuge sein können, sie sind sogar leiser als eine Passagierkabine bei den meisten Verkehrsjets.
Aufgrund dessen tragen Segelflugzeugpiloten meistens auch kein Headset, genauso wie man sich in einem Doppelsitzer (Segelflugzeug worin zwei Personen mitfliegen können) während des Fluges entspannt unterhalten kann.
Also Segelflugzeuge sind geräuschlos, umweltfreundlich, effizient und günstig zu fliegen da ja kein Treibstoff benötigt wird. Wieso fliegt dann nicht jeder überall hin?
Teil 2: Die Tücken des Segelfluges
Segelfliegen ist in der Regel leider kein Spaziergang. Damit man Starten kann werden in der Regel bei uns mindestens vier zusätzliche Leute am Boden benötigt (Flugleiter, Startleiter,
Starthelfer und Windenfahrer). Für einen effektiven Flugbetrieb am besten noch mehr.
Ebenso ist die Natur launisch und stellt ihre Energie nicht immer zur Verfügung. An manchen Tagen fliegt man Stundenlang, an manchen dreht man nur 5-min Runden. Dazwischen liegen Tage an denen
man sich viel Mühe geben muss um der Luft ihre Aufwinde zu entlocken. Die Vor- und Nachbereitung hat es ebenso in sich. Vom eigenen Auto in die Luft vergehen am
Morgen in der Regel mindestens 1,5h, da erst die Flugzeuge aus der Halle geräumt werden, die Vorflugkontrolle erfolgen muss und der Flugbetrieb organisiert sowie aufgebaut werden muss. Abends
wird dann das Flugzeug von Insekten an den Tragflächen entledigt und wieder sorgfältig mit allem anderen Gerät in der Halle verstaut.
Wie man sieht, Segelfliegen ist aufwendig. Die Natur gibt ihre Energie nicht ganz ohne Aufwand her.
Teil 3: Der erste Alleinflug
Sobald man sich entschieden hat fliegen zu lernen, fangen die Tage an, die man am Flugplatz verbringt. Am Anfang genießt man erstmal die Aussicht, wenn der Fluglehrer das Flugzeug steuert
und ein bisschen Höhe gewinnt, um dann bei ausreichender Höhe und Geradeausflug das erste Mal die Steuerung zu übergeben. Flug für Flug, Tag für Tag lernt man dann am Flugbetrieb mitanzupacken, das Flugzeug zu kontrollieren, Aufwinde zu erkennen und zu nutzen, das Flugzeug sicher zu starten und zu landen und was zu tun ist, wenn das dünne Seil mal reißt, an welchem das Flugzeug von der Winde in den Himmel gezogen wird.
Schließlich ist es soweit. Der Fluglehrer nimmt seinen Fallschirm aus dem Flieger, schließt am hinteren Sitz Gurte und Haube und sagt: „Du fliegst jetzt allein!“. Der Startcheck erfolgt wie vor jedem Flug,
nur dass plötzlich niemand mehr da ist der einem zuhört. Dann ist die Haube geschlossen, das Seil strafft sich und man fragt sich, ist das jetzt wirklich eine gute Entscheidung gewesen?
Schon beschleunigt man in 3s auf über 100km/h, hebt nach 50m ab und trennt sich in 450m Höhe vom Seil. Jetzt bin ich der einzige der entscheidet wo das Flugzeug hinfliegt. Ein paar Kreise später in 220m
Höhe am Beginn des Landeanfluges kommt wieder Routine auf und eine tadellose Landung erfolgt.
Anscheinend kann ich jetzt wirklich ein Flugzeug komplett ohne Unterstützung fliegen! (Das Lächeln verbleibt mit Sicherheit den ganzen Tag auf dem Gesicht.)
Teil 4: Das Vereinsleben
Piloten und Pilotinnen, sowie solche die es werden wollen, sind eine bunt gemischte Gesellschaft, die die Faszination des Fliegens verbindet. Schließlich ist ein Verein ja eine Interessensgemeinschaft.
Die vielfältige Mischung aus Berufen und Persönlichkeiten fördert die sozialen und technischen Kompetenzen sehr stark, denn man muss ein bisschen lernen mit jedem umgehen zu können, auch
wenn dieser Mensch komplett verschieden zu einem selbst sein mag. Dazu duzen wir uns alle grundsätzlich, da niemand dem anderen unterstellt ist und wir alle gemeinsam Spaß haben wollen.
Ein kleiner Auszug aus den vertretenen Berufen in unserem Verein zeigt sehr schnell die Vielfalt: Gymnasiallehrer (Oberstudienrat), Berufspiloten, Maschinenbauingenieure, Flugsicherungsingenieure, Elektrotechniker, KFZ-Mechaniker, Chirurgen sowie Softwareentwickler sind unter anderem bei uns vertreten. Dies bildet die Vielfalt in unserem Flugverein ab und es sind viele Personen dabei denen man im normalen Leben unter Umständen gar nicht begegnen würde.
Wenn man dann noch das Fluglager mit der Jugend und dem Sunrisefliegen verbringt, lernt man auch neben dem Warten auf den eigenen nächsten Flug eine schöne Zeit am Flugplatz zu verbringen. Platz gibt’s bei uns in Heppenheim natürlich reichlich, da mit zwei 1000m Graspisten und großem Vorfeld genügend Platz für Camping, einen Pool, Fußballspielen, Grillen und Flugbetrieb gleichzeitig ist. Selbst bei einem Jugendvergleichsfliegen mit einem dutzend anderer bei uns campierender Flugvereine wird’s nicht eng.
Teil 5: Nebenkompetenzen
An einem Flugplatz lernt man noch viel mehr als Fliegen. Zuerst merkt man, wie man seine Lethargie hinter sich lässt. Denn je mehr jeder mithilft, desto mehr kann jeder fliegen. Das wirkt sich sogar auf das Privatleben aus!
Organisation ist alles. Kommunikation führt zu Organisation. Dementsprechend ist es wichtig immer zu koordinieren um einen Überblick zu behalten, Aufgaben zu verteilen und anzunehmen und Informationen zu verwalten, weil niemand hat gleichzeitig einen Überblick über alles was gerade jeder macht und es ist zu viel zu tun, als dass es von einer Person allein erledigt werden könnte. Somit lernt man auch effiziente Absprachen und klare Informationsverwaltung zu betreiben, damit der Flugbetrieb gut läuft.
Selbst wenn man (wie ich) handwerklich komplett unbegabt ist, lernt man hier zu erreichen was notwendig ist um die Flieger Flugtüchtig zu halten. Dadurch wird Fliegen günstig, da Segelflieger so einfach konstruiert sind, dass sie Großteils in Handarbeit gewartet werden können. Natürlich gibt es Luftfahrzeug-Prüfer, die wie der TÜV für den eigenen PKW die Arbeit und Zustand kontrollieren um maximale Sicherheit zu gewährleisten (Vom LBA zertifiziert).
Eine Sauna braucht man zuhause nicht mehr. Wenn bei 38° im Schatten Flugbetrieb stattfindet und man um 13:00 schon 4l Wasser getrunken hat, weiß man was wahre Wärme ist. Daher kommt auch der Sport beim Segelfliegen, denn ohne einen stabilen Kreislauf und einem kühlen Kopf um die eigenen Fähigkeiten und Bedürfnisse zu managen, können schnell gefährliche Situationen entstehen. Aufgrund dessen gilt bei uns, dass sobald auch nur geringste Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit bestehen, man als Flugschüler sicherheitshalber immer mit einem Fluglehrer fliegt. Sobald sich die Haube schließt, erwärmt sich das Cockpit auf 70° und man wird geröstet, bis man fliegt und somit kühlere Frischluft in das Cockpit strömt (Nein, Segelflugzeuge haben keine Klimaanlage). Nach einer Woche Fluglager bei der man selbst nachts ohne Pulli nicht auch nur einmal ein kleines bisschen gefroren hat, kann man definitiv sagen den Sommer voll erlebt zu haben.
Teil 6: Sicherheit
Ich glaube, dass Segelfliegen einer der sichersten Arten des Fliegens ist. Denn ohne Motor kann dieser ja auch nicht ausfallen. Neben menschlichem Versagen ist bei Segelflugzeug die technischen Risken vor allem mechanischer Natur. Deswegen wird an jedem Morgen eines Flugtags und vor jedem Start die Steuerung überprüft (Das ist Vorschrift und wird vom Fluglehrer überwacht dass dies ordnungsgemäß durchgeführt wurde). Als zusätzliche Redundanz tragen wir Segelflieger im Flug zusätzlich noch einen Fallschirm, welcher das Verlassen des Flugzeugs im absoluten Notfall ermöglicht.
Strom braucht man im Flugzeug nur für sein Handy (Falls man es als Navigationshilfe im Flug benutzt), Sprechfunk, das elektrische Variometer und das Kollisionspräventionsgerät (Flarm). Selbst wenn die Batterie des Flugzeuges leer ist, kann man sein Flugzeug selbst komplett ohne Strom sicher landen.
Vieles am Flugplatz ist auf Sicherheit ausgelegt. Von der speziellen Schulung der Fluglehrer, der Kontrolle und Zulassung der Flugzeuge durch das Luftfahrtbundesamt, der Rettungskonzepte und
dem Üben von Seilrissübungen an der Winde, bis hin zur Einführung jedes einzelnen wohin er schauen muss wenn er alleine über den Platz laufen oder fahren will.
Letztlich lernt man beim Fliegen die Verantwortung für sich selbst und sein Flugzeug zu übernehmen und Risiken von sich aus beurteilen zu können.
Teil 7: Die Theorie
Nach dem Alleinflug und vielen Starts und Landungen rückt der Abschluss der Fliegerausbildung immer näher. Unter anderem muss dafür eine Theorieprüfung beim Regierungspräsidium in Darmstadt absolviert werden. Von ca. 1700 Multiple-Choice-Fragen werden dabei 128 Fragen verteilt über 9 Fachgebiete abgefragt. Vorbereitet werden wir Flugschüler im winterlichen Theorieunterricht, welcher diesen Winter pandemiebedingt online durchgeführt wird. Schließlich meldet man sich zur Prüfung an, lernt die Fragen bis man sie zu gut kann (Ich habe es am Tag vor der Prüfung geschafft eine Testprüfung über 9 Fachgebiete in unter 10min. zu bestehen) um dann die Prüfung zu bestehen. Nun ist der Weg zu meiner ersten Luftfahrtlizenz frei und ich freue mich schon nächstes Frühjahr mich nach und nach auf meine praktische Prüfung vorbereiten zu können.